Utopia, Dystopia

Heinrich Heine:
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten,
(…)
Es wächst hieniden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nichtminder.

Da ist wieder Heines ‘Spinozismus’: Die imaginäre Welt eines Jenseits soll abgeschafft und das irdische, materielle Leben in einen spirituellen Zustand erhoben werden,” (Yirmiyahu Yovel)

Die Zeilen implizieren, daß ein ‘Elysium’ auf dem Gleichheitsgedanken der Menschen zu gründen hat.
Hierzu C.G. Jung:
“Der Gedanke einer Gleichartigkeit der bewußten Psychen ist eine akademische Chimäre, welche die Aufgabe eines Dozenten vor seinen Schülern vereinfacht, die aber vor der Wirklichkeit in nichts zusammenfällt. Ganz abgesehen von de Verschiedenheit der Individuen, deren innerstes Wesen durch Gestirnsweite geschieden ist vom Nachbarn, sind schon die Typen als Klassen von Individuen in sehr hohem Maße voneinander verschieden, und ihrer Existenz sind die Verschiedenheiten allgemeiner Auffassungen zuzuschreiben.
Um die Gleichartigkeit der menschlichen Psychen aufzufinden, muß ich schon in die Fundamente des Bewußtseins hinuntersteigen. Dort finde ich das, worin alle einander gleichen. Gründe ich eine Theorie auf das, was alle verbindet, so erkläre ich die Psyche aus dem, was an ihr Fundament und Ursprung ist. Damit aber erkläre ich nichts von dem, was an ihr historische oder individuelle Differenzierung ist. Mit einer solchen Theorie übergehe ich die Psychologie der bewußten Psyche. Ich leugne damit eigentlich die ganze andere Seite der Psyche, nämlich ihre Differenzierung von der ursprünglichen Keimanlage. Ich reduziere gewissermaßen den Menschen auf seine phylogenetische Vorlage, oder ich zerlege ihn in seine Elementarvorgänge, und wenn ich ihn aus dieser Reduktion rekonstruieren wollte, so käme im ersteren Fall ein Affe heraus und im letzeren eine Anhäufung von Elementarvorgängen, deren Zusammenspiel eine sinn-und zwecklose Wechselwirkung ergäbe.”

Der Anspruch für eine Gleichheit ist so eine Reminiszenz an die tiefste Vergangenheit und zugleich Impetus zur Progression zur Erfüllung einer ‘Utopia’ des Numinosen. Utopia, weil dieser Urzustand in fernster Zukunft liegt (Platon: Lernen ist Erinnern) – hinter diesen zeitlichen Setzungen aber steht ewige Gegenwart, totale Vergegenwärtigung. Die Instanzen der Religion lassen diesen Zugang nicht zu und fungieren hier wie ‘dunkle Hüter der Schwelle’. Die säkularen Ersatzsysteme indes produzieren Immanenzüberschüsse, die zwangsweise ein Dystopia hinaufbeschwören.