Fluktuierende Substanz

Yirmiyahu Yovel: “Hegels Kritik stützt sich auf systematische Implikationen der Lehre Spinozas, nicht auf seine explizite Position. Da Spinoza von absoluter Einheit und Identität ausgeht und ihm eine dialektische Logik fehlt, ist er, so behauptet Hegel, nicht imstande, an der Wirklichkeit besonderer, endlicher Dinge festzuhalten. Seine Totalität wird zu einem übermächtigen Prinzip, in dem alle Unterschiede verwischt sind. Diese unbegrenzte Totalität läßt keine wirklichen Unterscheidungen im Universum zu, nur modale Variationen desselben. Was immer uns unterschieden und spezifisch erscheint, ist so nur aufgrund ‘äußerer Reflexion’ – und nicht kraft seines objektiven ontologischen Status. Nur die an sich (in se) existierende und durch sich (per se) erkennnbare Substanz ist ein wirkliches Individuum, wobei die endlichen Modi nur vorübergehende und fluktuierende ‘Affektionen’ oder ‘Zustände’ dieser einzigen Substanz sind. Hegel meint Spinozas Unfähigkeit, dem Reich des Endlichen gerecht zu werden, wenn er sagt, bei Spinoza gebe es ‘zu viel Gott.’ “

“Unbegrenzte Totalität und ihre modalen Variationen”: Das mutet geradezu buddhistisch an. Die “äußere Reflexion” übersetze ich indes mit Perzeption, was heißt, Welt wird kreiert aus der Ganzheit eines Bewußtseinsstroms (der Emanation). Letztlich wird man ‘dem Reich des Endlichen’ dann gerecht, wenn man beides in den Blick nimmt: Das offensichtliche (sic) Dasein der Weltlichkeit und ihrer Dinge, zum anderen aber ihre tatsächliche und totale Nicht-Festigkeit und Variabilität. Die Modalität der Welt wird insofern ontologisch aufs Äußerste reduziert, aufgrund ihrer Bestimmungs-Ferne auch negativ konnotiert: Das Hiesige als ein kläglicher Restbestand des Daseins, das sich hier zur (vermeintlichen) Lebenswelt dargeben mag. Signum dieser Kläglichkeit ist gerade der Sachverhalt, daß wir die Möglichkeit und Anlage zum Ausgang nicht mehr kennen (wollen) und Wissen wie Vertrauen um die Beständigkeit und höhere Art unseres Seins ganz verloren zu haben scheinen. Wie mag man nun einen Unterschied der fluktuierenden Affekte Spinozas und Hegels dialektischer Substanzialität konsequent als verschieden klassifizieren? Beide treffen sich schließlich an einem gewissen Punkt, wo auch Substanzielles, Dialektisches eine quasi-nichtexistente Natur offenbart bzw. ihre rein geistige Modalität und Relativität verrät. Wir sprechen dort von einer Dialektik des Nicht-Vorhandenen.